“Herr, dein Wille geschehe” – “Signore, sia fatta la tua volontà”

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    Liebe Familien,
    unser Herr Bischof, hat am vergangenen 8. März seinen zweiten Jahrestag seiner Bestellung zum Bischof gefeiert.
    Dieses zweite Jahr war, neben den zahlreichen pastoralen Verpflichtungen, geprägt von der Krankheit, die unseren lieben Bischof ganz unerwartet getroffen hat, einer seltenen und atypischen Form des Parkinsons.
    Wir möchten mit euch allen den Hirtenbrief unseres Bischofs zur Fastenzeit teilen, es ist dies eine wertvolle Gelegenheit zum Nachdenken für uns alle.
    Alfio und Emanuela

    Fastenhirtenbrief 2011

    Liebe Gläubige!

    Einleitung

    Als die Diagnose meiner Krankheit feststand, habe ich versucht, mit Jesus am Ölberg zu beten: “Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen”. Wir wissen, es gibt Leute, die sagen: “Das ist einfach Schicksal.“ Eine solche Haltung wäre Ausdruck eines blinden Fatalismus. Wir glauben aber an einen Gott, der die Liebe ist, der Pläne hat zu unserem Heil. Das hat mich auf den Gedanken gebracht, etwas zum schwierigen Thema der göttlichen Vorsehung zu schreiben, über seine Pläne zum Leben der Einzelnen und über die mögliche Antwort des Einzelnen auf den Ruf Gottes.


    Ein Wort aus der Heiligen Schrift

    Vorausschicken möchte ich einen Abschnitt aus dem Brief des heiligen Paulus an die Epheser, der in der Deutschen Einheitsübersetzung überschrieben ist: “Loblied auf den Heilsplan Gottes” (Eph 1,3-12).
    Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade. Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt und hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im voraus bestimmt hat: Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist. Durch ihn sind wir auch als Erben vorherbestimmt und eingesetzt nach dem Plan dessen, der alles so verwirklicht, wie er es in seinem Willen beschließt; wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher auf Christus gehofft haben.
    Gott, der allmächtige und allgütige Vater, hat uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, … er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Kinder zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Durch diese Worte des Apostels Paulus wird uns bewusst: Unser Leben ist nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert, sondern ganz von der Hand Gottes umschlossen.

    Der liebende Gott und die menschliche Freiheit

    Gott ist Liebe, alles was er verfügt, geschieht zu unserem Heil. Mit der Frage, wie das zusammengeht – die menschliche Freiheit und der Wille Gottes – haben sich große Theologen wie der heilige Augustinus, der heilige Thomas von Aquin und viele andere Denker eingehend beschäftigt. Wir wollen festhalten, dass Gott die menschliche Freiheit respektiert. Er will, dass der Mensch in Freiheit auf den Ruf seiner Liebe antwortet. Dieses Rufen Gottes, das an die Menschen ergeht, nennen wir Berufung.

    Halten wir fest: Es gibt eine individuelle Berufung, und es gibt eine universale Berufung, d. h. die Berufung aller Menschen zur Heiligkeit und zum Leben mit Gott im Himmel. Die universale Berufung verwirklicht sich im Einhalten der Gebote Gottes, vor allem über das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe.

    Vor allem möchte ich über die individuelle Berufung sprechen. Diese fordert von mir eine konkrete Antwort auf den Ruf Gottes, die ich mit meinem Leben geben soll. Dabei möchte ich alle ermutigen, sich über die eigene, individuelle Berufung Gedanken zu machen. Ganz besonders lade ich die jungen Menschen ein, über den Ruf Gottes in ihrem Leben nachzudenken. Ich bin fest davon überzeugt: Wer dem Ruf Gottes ein offenes Ohr schenkt, wird immer wieder verspüren, wie sinnvoll das Leben trotz aller dunklen Seiten ist. Die folgenden Gedanken sind als Hilfe gedacht, um die eigene Berufung besser zu erfassen.

    Die individuelle Berufung

    Gott ruft auch mich und dich, er mischt sich in mein, in unser Leben ein. Wie aber ruft Gott? Er ruft leise, er respektiert in allem meine Freiheit. Sein Rufen ist ein Locken; Gott lockt mich durch Liebe. Diese Liebe gilt es zu erspüren, sowohl durch die Wunder seiner Schöpfung – “alles ist durch Christus und auf ihn hin geschaffen” (vgl. Kol 1,16) – wie auch durch die Erkenntnis, dass der ewige Sohn Gottes Mensch geworden ist und uns durch seine Liebeshingabe am Kreuz erlöst hat. Die Liebe Gottes, die in seiner Schöpfung und Erlösung aufleuchtet, ist Ausgangspunkt aller Berufung. Wenn ich davon im Innersten angesprochen und berührt bin, wenn ich über die Schönheit der Schöpfung staune oder von der Liebe Christi ergriffen bin, dann spricht Gott zu mir. Diesem Werben und Locken Gottes nachzugehen bedeutet, die konkrete, je eigene Berufung zu suchen.

    Wie erkenne ich den speziellen Ruf an mich? Wie erkenne ich, was Gott von mir, von meinem Leben will? Wie kann ich erfahren, ob Gott möchte, dass ich Priester werde oder in eine Ordensgemeinschaft eintrete, oder in Ehe und Familie meinen Glauben überzeugt lebe? Es braucht die Gabe der Unterscheidung als geistliches Gespür für das, was von Gottes Geist kommt, und ich empfehle dafür eine gute geistliche Begleitung. Darüber hinaus möchte ich folgende Überlegungen anführen und Ihnen einen Leitfaden für das Entdecken der eigenen Berufung mitgeben.

    a) Ich erkenne meine Berufung, indem ich zuerst einmal auf mich selbst schaue und in mich hineinhöre; denn Gott spricht zu mir gerade auch durch mich selbst. Um dieses Rufen Gottes zu erkennen, können mir folgende Fragen und Überlegungen helfen: Wo sind meine Stärken? Wo sind meine Schwächen? Ich bin dankbar für meine Stärken, ohne hochmütig zu sein. Ich akzeptiere meine Schwächen, denn gerade sie machen mich demütig; sie sind umhüllt von der Gnade Gottes. Was macht mir Freude? Gerade damit will mich Gott auch stärken und beglücken. Was kann ich gut? Wie und wo kann ich meine Fähigkeiten am besten einsetzen? Meine Talente sollen nicht brach liegen, Gott will, dass ich sie in meinem Leben einsetze (vgl. Mt 25,14-30).

    b) Aber Gott spricht nicht nur durch mich, sondern Gott lockt mich auch durch andere Menschen. Es ist gut, auch auf andere zu hören, auf Menschen, die mir wohlgesinnt sind und mir ehrliche Rückmeldungen geben. Wie werde ich von anderen wahrgenommen? Was trauen sie mir zu? Was sagen sie mir? Wo sehen sie mich? Was sagen mir gute Menschen? Welche Vorbilder sprechen mich an? Warum? Wer fasziniert mich, und was fasziniert mich an diesem Menschen?

    c) Gottes Ruf dringt auch durch die Not der Menschen zu mir. Hinter den Berufungen in der Bibel stehen oft Nöte der Menschen: Mose wird von Gott berufen, im Blick auf das geknechtete Volk Israel (Ex 3,7); die Jünger werden von Jesus berufen, der sieht, dass die Menschen wie Schafe sind, die keinen Hirten haben (Mk 6,34). Die Nöte der Menschen dringen zu Gott, und Gott ruft Menschen, die helfen, die Not zu lindern. Gott zu dienen, zeigt sich konkret im Dienst am Nächsten. Die Berufung, für Gott zu leben, verbindet sich mit der Berufung, für die Menschen zu wirken. Voraussetzung dazu ist eine lebendige Beziehung zu Christus, die sich durch das Gebetsleben zeigt, im Betrachten der Heiligen Schrift, in der Mitfeier der Eucharistie und im Empfang der Sakramente. Es braucht die Gabe der Unterscheidung als geistliches Gespür für das, was von Gottes Geist kommt.

    Die Antwort auf die individuelle Berufung

    Wie ich bereits am Beginn geschrieben habe, respektiert Gott meine Freiheit auch dann, wenn ich seinem Ruf nicht folgen will. Auf den Ruf Gottes zu antworten, heißt, die Berufung anzunehmen und dem Heilsplan Gottes für die Welt zu dienen. Es zeigt sich aber, dass dieses Annehmen nicht immer einfach ist. Es gibt Menschen, die auf den Ruf Gottes unentschlossen und zögernd reagieren, denn auf Gottes Ruf zu antworten, kann auch bedeuten, das Leben zu verändern, sich umzustellen, auf Bekanntes und Bewährtes zu verzichten, um frei zu sein für Gott. Dazu sagt der heilige Ignatius von Loyola: “Der Mensch soll die Gnade erbitten, dass er nicht taub sei auf den Ruf Gottes hin, sondern schnell und voll Bereitschaft, zu erfüllen seinen heiligsten Willen” (Exerzitienbuch, 91). Ignatius spricht auch von der halbherzigen Wahl oder Lebensentscheidung (154). Diese tritt nach Ignatius dann ein, wenn wir meinen, dass Gott dorthin kommen soll, wo wir selber hin wollen; wenn wir nicht bereit sind, für unsere Berufung aufzugeben, was der Erfüllung noch im Wege steht. Dies können Beziehungen sein, materielle Güter oder einfach nur innere Einstellungen. Doch wer die Berufung annimmt, wer zu Gottes Ruf ein reifes Ja sagt, erlangt eine tiefe Freude, die das Leben grundlegend prägt und die auch über Krisenzeiten und Kreuzeserfahrungen hinweg anhält. Dieses Ja wird sich immer wieder neu bewähren, und es ist geleitet von der Frage nach dem Mehr: Wo bringt mein Leben mehr Früchte für mich und die Mitmenschen? Wo und wie erfülle ich den Willen Gottes mehr? Eine lebendige Beziehung zu Christus in Gebet und Betrachtung, in der Lektüre der Heiligen Schrift und in der Teilnahme am kirchlichen Leben nährt unsere Berufung mit der nötigen Kraft. Gerade die Fastenzeit kann eine Möglichkeit sein, unserer Berufung nachzuspüren.

    Liebe Gläubige, in diesem Hirtenbrief habe ich über das Wirken Gottes in unserem Leben gesprochen. Zusammenfassend gebe ich Ihnen folgende Gedanken mit in die Fastenzeit: Wir sind nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert, sondern sind in der Hand Gottes geborgen. Wenn wir unser ganzes Leben, alles, was uns widerfährt, auch Krankheit und Leid, auf Gott hin öffnen, gewinnt alles einen tieferen Sinn. Gott hat einen Plan mit unserem Leben. Er wirbt mit seiner Liebe um unser freies Ja für diesen Plan; er beruft uns.

    Ich lade Sie in dieser österlichen Bußzeit ein, Ihrer Berufung nachzuspüren. Verschließen Sie nicht Ihr Herz, wenn Gott anklopft und um Ihr Ja wirbt. Wir brauchen überzeugte Christinnen und Christen, wir brauchen Priester und Ordensleute, wir brauchen Menschen, die von der Liebe Christi erzählen und sie uns nahe bringen; wir brauchen Menschen, deren Herz für Christus brennt.

    Ich wünsche Ihnen eine gute und besinnliche Fastenzeit. In diesem Sinne bete ich für Sie und bitte um Ihr Gebet.

    Ihr Bischof

    + Karl Golser

    Bozen, 1. Fastensonntag 2011